100 Jahre Christuskirche Rom

Eine Online-Ausstellung der Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Kooperation mit der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Rom

Inhalt

Die evangelisch-lutherische Christuskirche wurde zwischen 1910 und 1922 nach den Entwürfen von Franz Schwechten (1841–1924) errichtet. Das Viertel am Rand des Pincio beherbergt wie schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch das Deutsche Archäologische Institut (DAI), das eng mit der Geschichte der Kirchengemeinde verbunden ist. Foto: Gabriele Fichera 1986, Bibliotheca Hertziana, Inv. U.Pl. ED 27588
Die evangelisch-lutherische Christuskirche an der Via Sicilia

Einführung

Der Bau der evangelischen Christuskirche in Rom erfolgte im nordöstlich des Stadtzentrums gelegenen Rione Ludovisi, einem etwa 25 Hektar großen Gelände, das 1886 von der Familie Boncompagni, den Erben der Familie Ludovisi, an die Stadt verkauft wurde und anschließend als Baugrund erschlossen wurde. Große Paläste wie der von Gaetano Koch entworfene Palazzo Margherita (die heutige Botschaft der Vereinigten Staaten an der Via Veneto) wurden ebenso errichtet wie Kirchenbauten, zu denen die im Neorenaissancestil errichtete Kirche San Patrizio a Villa Ludovisi, die neogotische Kirche Santissimo Redentore e Santa Francesca Saverio Cabrini oder die neoromanische Christuskirche zählen. Diese Sakralbauten haben im Vergleich zu den älteren Kirchen in der Kunstgeschichte Roms bislang nur wenig Aufmerksamkeit erhalten, obwohl es sich um sowohl im Entwurf als auch in der Ausführung durchaus qualitätvolle Bauten handelt, die zudem eng mit der Geschichte einzelner nationaler Gemeinden oder religiöser Orden verknüpft sind.
Die Fotothek hat das einhundertjährige Weihedatum der Christuskirche zum Anlass einer Online-Ausstellung genommen, die den Weg von der Planung bis zur Fertigstellung nachzeichnet. Mehrere Fotokampagnen wurden in den vergangenen Jahrzehnten in der Kirche durchgeführt, die letzte umfassende im Jahr 2019 durch den Institutsfotografen Enrico Fontolan. Die vielfältigen Bezüge von Bau und Ausstattung zu frühchristlichen und romanischen Vorbildern werden durch die Aufnahmen ebenso illustriert wie die wilheminisch-deutschen Komponenten des historistischen Kirchenbaus.
Ergänzt und bereichert wird die Ausstellung durch ein Video von Madelaine Merino, das den Innenraum der Kirche in filmischer Beschreibung vermittelt. Der kurze Beitrag steht in der Tradition filmischer Raumvisualisierungen, die Faktisches und Atmosphärisches verbinden. Eines der frühen Beispiele ist der 1936 entstandene Kurz-Dokumentarfilm des späteren Stipendiaten der Bibliotheca Hertziana Carl Lamb „Raum im kreisenden Licht“, der der Wieskirche in Oberbayern gewidmet war.

Johannes Röll

Grußwort

Die 100 Jahre, in denen die Christuskirche in Rom besteht, sind im Vergleich zum Alter anderer römischer Kirchen eine kurze Zeit. Historisch haben es diese 100 Jahre aber in sich. Geplant und begonnen wurde der Bau der Kirche in der Zeit, als in Deutschland und Italien noch Kaiser und Könige herrschten. Eingeweiht wurde die Kirche nach dem Ersten Weltkrieg – ohne die Autoritäten, die sie einst planten, und mit einer zahlenmäßig stark dezimierten deutschen Gemeinde, die sich in einer völlig veränderten politischen Lage befand.
Dass es der Gemeinde und den deutschen Kirchenbehörden gelang, zu Beginn der 1920er Jahren trotz drohender Rezession und Ungewissheit das Kirchengebäude zu vollenden und einzuweihen, ist eine beachtliche Leistung. Geplant wurde die Kirche selbstbewusst und prächtig in Zeiten, die von der Sicherheit der Monarchie und des Protestantismus ausgingen. Eingeweiht wurde sie in einer Phase der Verunsicherung und der tastenden Neuorientierung.
Gerade darin zeigt sich bis heute eine Eigenschaft der Christuskirche, die in ihrer kurzen Geschichte besonders zur Wirkung kommt: Sie gibt ihrer Gemeinde Halt und Orientierung in schwierigen Zeiten. Sie wird zum Zufluchtsort und Bezugspunkt, wenn bisher sicher geglaubte Stabilitäten wegbrechen. Man könnte zugespitzt sagen: Geplant wurde die Christuskirche, um glanzvoll und selbstbewusst den (deutschen) Protestantismus zu repräsentieren; ihre wahre Wirkung aber entfaltet sie, in dem sie wechselnden und verunsicherten Menschen in schweren Zeiten in aller Begrenztheit eine geistliche Heimat geboten hat. Darauf blicken wir dankbar zurück.

Michael Jonas

1. Bauplanung und Ausführung

Am 5. November 1922 wurde die evangelisch-lutherische Christuskirche in Rom eingeweiht. Dem einheitlich im neoromanisch-historistischen Stil gestalteten Bau sieht man äußerlich nicht an, dass seine Planungen über dreißig und dessen Ausführung über zehn Jahre andauerten, während in Europa der Erste Weltkrieg stattfand und in Deutschland die Monarchie zu Ende ging.
Die deutsche evangelische Gemeinde in Rom nutzte seit 1823 eine Kapelle im Erdgeschoss des Palazzo Caffarelli auf dem Kapitol, dem Sitz der preußischen Gesandtschaft, für ihre Gottesdienste. Die Initiative zur Errichtung eines neuen Kirchenbaus ging etwa seit 1890 von verschiedenen Gruppierungen in Deutschland aus, die sich der Förderung der Auslandsdiaspora widmeten. 1899 wurde ein schmales Grundstück in der Via Toscana, unweit der Via Veneto und der Aurelianischen Mauer gelegen, erworben, das mit einem Gebäudekomplex, bestehend aus Kirche, Pfarr- und Gemeindehaus, bebaut werden sollte. Da die römische Gemeinde seit 1907 der preußischen Landeskirche angegliedert war, beauftragte der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss als neuer Bauherr den Berliner Oberbaurat Richard Schultze (1855–1923) mit den Entwürfen.
Schultze konzipierte einen traditionell in Ost-West-Richtung ausgerichteten und aufgrund der geringen Grundstücksbreite wenig tiefen Kirchenbau mit separater Taufkapelle, der mittig zwischen dem Pfarrhaus im Norden (zur Via Sardegna) und dem Gemeindehaus im Süden (zur Via Sicilia) eingeschlossen und nur über diese zugänglich war.
Dieses Projekt erschien Kaiser Wilhelm II. (1859–1941), der als Oberhaupt der preußischen Landeskirche das Vorhaben aufmerksam verfolgte, zu wenig repräsentativ, so dass er 1910 seinen Hausarchitekten, den Geheimen Baurat Franz Schwechten (1841–1924), mit einem alternativen Entwurf beauftragte. Schwechten hatte unter anderem 1891–1895 in Berlin die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche und 1905–1913 das kaiserliche Residenzschloss in Posen erbaut. Er drehte die Ausrichtung der Kirche um 90 Grad, sodass ein deutlich größerer dreischiffiger Langhausbau mit monumentaler Fassade zur Via Sicilia hin entstand, an den sich nach Norden hin das Pfarr- und das Gemeindehaus anschließen.
Die Grundsteinlegung erfolgte am 2. Juni 1911, doch die Bauarbeiten wurden 1914–1918 durch den Krieg unterbrochen. 1915 wurde der gesamte deutsche Besitz in Rom enteignet, darunter auch der Palazzo Caffarelli mit der Gesandtschaftskapelle, die nach Kriegsende nicht rückerstattet wurden. Das unvollendete Bauprojekt konnte indes zurückerhalten und fertiggestellt werden. Da die Gemeinde nach Kriegsende zahlenmäßig dezimiert war, wurde das neue Gemeindehaus an das Deutsche Archäologische Institut vermietet, dessen Sitz auf dem Kapitol ebenfalls enteignet worden war.
Trotz der Unterbrechungen ist der Entwurf Schwechtens nahezu unverändert umgesetzt worden und macht die Kirche zu einem der wichtigsten Zeugnisse des wilhelminischen Historismus, dessen architektonische Sprache sich in stilpluralistischer Weise zugleich frühchristlicher, langobardischer und staufischer Elemente bei Verwendung lokaler Materialien wie dem für den Außenbau genutzten Travertin bedient.  [TB]

2. Innenraum und Ausstattung

Die Innenausstattung der Christuskirche ist ausgesprochen gut erhalten; auch die von Franz Schwechten geplante Aufstellung der Ausstattungsstücke blieb bis heute unverändert. Die nach außen als Langhausbau in Erscheinung tretende Kirche wird innen durch die Eingangshalle und die dahinter liegende Vorhalle räumlich verkürzt. Somit ergibt sich eine annähernd quadratische Form des Innenraums: Schmale Seitenschiffe säumen ein wesentlich breiteres dreijochiges Mittelschiff mit halbrunder Apsis. Die Hauptachse führt zu dem erhöhten Altarraum mit der rechts stehenden Kanzel. Der Chor wird auf der rechten Seite durch eine in der Apsis beginnende Kanzeltreppe eingegrenzt und links von einer Chorschranke aus Marmor gerahmt. Über den Seitenschiffen und der Vorhalle befinden sich von Pfeilern und Säulen getragene Emporen. 
Besonders beeindruckt das großflächig angelegte Mosaik in den Hängekuppeln, an den Gurtbögen, sowie am Triumphbogen und in der Apsis. Die Dekoration aus Gold-, Perlmutt- und bunten Glastesserae schmückt eine Fläche von insgesamt 414 Quadratmetern. Für die Ausführung wurde die Berliner Firma Puhl & Wagner beauftragt, die bei der Herstellung das indirekte Setzverfahren anwandte. Entworfen wurden die Mosaike von den Malern Ernst Pfannschmidt (1868–1949), zuständig für Apsis und Triumphbogen, und Friedrich Schwarting (1883–1918), der die Motive der Ornamentbänder am Rande der Gewölbeflächen fertigte. Das Mosaik an der Stirnwand der Apsis stellt Christus als Maiestas Domini dar: In der Mandorla auf Globus und Regenbogen thront der Weltenherrscher mit zum Segen erhobener rechter Hand, in der Linken hält er das geöffnete Buch mit den Worten der Offenbarung des Johannes: „Ich bin das Alpha und das Omega“. Die Wahl dieses Motivs sowie die Verwendung von Mosaiken für den Kircheninnenraum geht auf gestalterische und baupolitische Präferenzen Kaiser Wilhelms II. zurück. Als Vorbild dienten frühchristliche, normannisch-sizilianische und romanische Bauten des 12. und 13. Jahrhunderts. So orientiert sich auch das Christus umgebende Rankenwerk an den Dekorationen der römischen Kirchen San Clemente und Santa Maria Maggiore. Neben einer Maiglöckchen-Girlande zieren ein Kreuz im Strahlenkranz und zwei Engel mit Märtyrerkronen die Mosaikflächen des Triumphbogens. Auf weitere figürliche Darstellungen im Raum der Apsis wurde verzichtet. Am höchsten Punkt der Kirche, in der Mitte der zentralen Hängekuppel, findet sich eine Crux gemmata quadrata. Die Wände weisen eine teils gemalte weiße und dunkelgrüne Marmorinkrustation nach spätantikem Vorbild auf.
Die Stiftung der liturgischen Ausstattung nach Entwürfen Schwechtens und später Gotthold Riegelmanns (1864–1935) erfolgte durch die Gustav-Adolf-Frauenvereine der Lutherstädte Eisleben, Mansfeld, Erfurt und Magdeburg. Auf diese Weise sollte die Ausgestaltung und der Gebrauch von Altar, Kanzel und Taufstein Luthers Wirkungsorte ins Gedächtnis rufen. Die Stücke wurden aus italienischem Bianco Avorio- und Cipollino-Marmor gefertigt. In ihrer Dekoration nimmt die Kanzel auf Werke des 12. und 13. Jahrhunderts aus Deutschland und Süditalien Bezug: Der Prophet Jesaja, Johannes der Täufer, der Apostel Paulus und der Märtyrer Stephanus am Kanzelkorb sind Figuren der Chorschranken der Halberstädter Liebfrauenkirche entlehnt; das Adlerpult und die stützenden Säulen verweisen auf Stauferkanzeln aus Apulien. Altar und Taufstein ähneln im Typus und der Ausführung solchen in Kirchenbauten Schwechtens in Deutschland. Allerdings sind die römischen Werke zusätzlich mit Kennzeichen der Orte ihrer Stiftung dekoriert. Beispielsweise trägt das Taufbecken neben den Wappen Luthers und Melanchthons die der Städte Mansfeld und Rom.
Infolge der Beschlagnahmung der Botschaftskapelle im Palazzo Caffarelli fanden außerdem Teile von deren Ausstattung Eingang in die neue Kirche, so etwa der nachfolgend beschriebene Taufstein von Bertel Thorvaldsen. [MM]

3. Der Taufstein Bertel Thorvaldsens

Der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770–1844) kam 1797 mit einem Stipendium der Kopenhagener Akademie nach Rom, wo er in der Folge den größten Teil seines Lebens verbrachte. 1804 erhielt er den Auftrag für einen Taufstein für die Schlosskirche Brahetrolleborg auf Fünen, dessen Modell 1808 und dessen Marmorausführung 1815 fertiggestellt worden war. Ab 1822 entstanden mehrere Repliken in Thorvaldsens Studio, wovon eine Marmorversion (1826–1827) für den Dom in Reykjavík (Thorvaldsens Vater war Isländer) bestimmt war. Für diese Version war ein Modell in Ton erschaffen worden, das nach Fertigstellung der Marmorversion im April 1828 an den Engländer Philipp Pusey verkauft wurde. Pusey, der auch mit dem preußischen Gesandten beim Heiligen Stuhl, Christian Karl Josias von Bunsen befreundet war, schenkte diesem das Tonmodell des Taufsteins für die wenige Jahre zuvor entstandene evangelische Gemeinde, wo es zunächst in der Gesandtschaftskapelle im Palazzo Caffarelli auf dem Kapitolshügel und ab 1930 in der neu errichteten Christuskirche Aufstellung fand. Die auf- und eingesetzte Taufschale wurde von Michael Knapp entworfen und von dem Bronzegießer Wilhelm Hopfgarten im Auftrag Bunsens gefertigt. Dessen Zwillinge Theodor und Theodora wurden am 19. Februar 1832 als erste darin getauft. 
Thorvaldsen wandelte die übliche Rundform von Taufbecken zu einer viereckigen, die der Grundform eines antiken römischen Altars entspricht. Vier Szenen schmücken die Seiten: Die Taufe Christi, Maria mit Jesus und dem Johannesknaben, Christus, der die Kinder segnet und drei schwebende Putten über der Inschrift. Die Taufszene, die Elemente des Klassizismus mit denen der italienischen Renaissance verbindet, ist in der simplen Monumentalität des erhabenen Reliefstils typisch für Thorvaldsens Schaffen im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. [JR]

4. Gedächtniskirche Rom? Die Entwürfe für die „Reformations-Gedächtnishalle“

Ausgerechnet in der evangelisch-lutherischen Christuskirche fehlt ein Konterfei des Konfessionsstifters. Wenn es dagegen nach dem Architekten Franz Schwechten und dem Verband Deutscher Pfarrvereine gegangen wäre, hätte Luther einen Ehrenplatz an zentraler Stelle des Vorhallengewölbes bekommen. Ab 1913 plante man, das heute glatt verputzte Tonnengewölbe der Kirchenvorhalle mit einem Mosaik auszustatten, das zwischen Rankenwerk Porträtmedaillons und Wappen gezeigt hätte. Eine Reihe von Entwürfen im Gemeindearchiv dokumentiert den damals geplanten Raum und die Inhalte der Medaillons. Die Initiative zu dieser Ausstattung im Sinne einer „Reformations-Gedächtnishalle“ ging auf den Verband Deutscher Pfarrvereine zurück, der im Juli 1913 auch eine Liste der gewünschten Bildnisse – darunter natürlich auch Luther – gleich mitlieferte. Nun griff der Architekt auf seine Erfahrungen aus der Berliner Gedächtniskirche zurück, wo er einen ähnlichen Zyklus realisiert hatte und wartete bereits zwei Monate später mit einem fertigen Architekturmodell aus Papier auf. Dieses hatte vor allem den Zweck, deutschlandweit Spendengelder für das Projekt einzuwerben. 
Demnach sollten insgesamt 15 Porträtmedaillons ausgeführt werden, sieben davon Reformatoren und dazu acht protestantische Landesfürsten. Obwohl die großzügigsten Spendervereine von vornherein durch die Wappen ihrer Städte repräsentiert sein sollten, fühlte sich etwa der Anhalter Pfarrverein nicht ausreichend gewürdigt und bestand auf der Hinzufügung des Porträts seines eigenen Landesfürsten Wolfgang, Fürst von Anhalt-Köthen. Da nun die Symmetrie des Ganzen durcheinandergeriet, musste ein weiteres Bildnis dazukommen – der Zyklus wurde auf 17 Tondi erweitert. Elf davon gehen auf direkte Vorbilder in der Berliner Gedächtniskirche zurück; die originalen Vorlagenkartons von Hermann Schaper (heute im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover) mussten daher nur kopiert und – zur Anpassung an die römischen Größenverhältnisse – um rund ein Viertel verkleinert werden. Friedrich Schwarting, einst Schüler des 1911 verstorbenen Schaper, übernahm diese Aufgabe und fertigte auch die restlichen sechs Medaillons an. Die Bestände des Gemeindearchivs erlauben dabei einen seltenen Einblick in den Arbeitsprozess: So wurden die vorhandenen Gedächtniskirchenkartons fotografiert und im gewünschten Maßstab auf Karton abgezogen. Dieser neue Karton wurde entlang der Konturen mit der Nadel durchgestochen und diese durch Auftupfen von Kohlenstaub auf einen weiteren Karton übertragen. Das so entstandene Punktmuster ließ sich nun erneut zu einer Zeichnung verbinden, die im darauffolgenden Schritt wieder in den Farben des Originals koloriert werden konnte. Lange vor der Erfindung des Farbfilms konnte der Karton damit dem Mosaikkünstler unmittelbar als Werkmodell dienen. Bei den sechs Medaillons, für die es keine Vorbilder aus der Gedächtniskirche gab, griff Schwarting auf historische Bildnisse, vor allem Kupferstiche zurück. So fand sich beispielsweise das Bildnis des schwäbischen Reformators Johannes Brenz in einer 1587 in Straßburg gedruckten Sammlung von Gelehrtenbildnissen. Das wohl von der Hand Tobias Stimmers stammende Porträt wurde ebenfalls abfotografiert, auf den gewünschten Maßstab vergrößert und der gewünschte runde Bildausschnitt eingezeichnet. Danach wurden die für die Übertragung ins Mosaik relevanten Konturen auf Transparentpapier durchgepaust und die zu wählenden Farben handschriftlich eingetragen.
Einmal als Serie vereinigt, konnte die Sammlung von Porträts verschiedenster Herkunft schwerlich den harmonischen Eindruck kompositioneller Einheitlichkeit erwecken: Nach der ursprünglichen Planung Schwechtens wären in der Reihe der sieben Reformatoren jeweils zwei im Profil und Dreiviertelprofil, die übrigen im Halbprofil erschienen; drei wären nach links, vier nach rechts gewendet gewesen. Im Zentrum hätte Luther von dem ihm direkt zugewandten Zwingli weg in die Richtung des ihm abgewandten Calvin geschaut. Schwarting als ausführender Künstler hatte das Problem klar erkannt und wollte die Reihenfolge der Medaillons entsprechend umstellen. Bis heute war unklar geblieben, ob es aufgrund der Wirren des Ersten Weltkrieges noch dazu kam. Die Abfolge der Nummern auf den Blättern des Gemeindearchivs beantwortet diese letzte Frage: Sie gibt eine optimierte Disposition der Tondi wieder und liefert die Basis für den hier gemachten Rekonstruktionsversuch. [OL]

5. Film als Beschreibung: Die Christuskirche in Rom

Der kurze Beitrag erkundet die Architektur der Christuskirche mithilfe bewegter Bilder. Die angewandte Montage ermöglicht es, neben der Illustration räumlicher Zusammenhänge die fortschreitende visuelle – und auch akustische – Erschließung der baulichen Gestaltung mit den alltäglichen Gesten und Handlungsabläufen im Inneren der Kirche zu verflechten. In der filmischen Bewegung werden räumliche Proportionen und Funktionszusammenhänge zugleich veranschaulicht. Vorwiegend natürliches Licht beleuchtet den Innenraum durch die milchigen Scheiben der Kirchenfenster, die an frühchristliche Alabasterfenster erinnern, während die urbanen Geräusche der Außenaufnahmen im Kontrast zur gedämpften Stille des Innenraums stehen. [MM]

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Ausgewählte Literatur

  • Nina Bewerunge, Die Christuskirche in Rom, Lindenberg 2016.
  • Vera Frowein-Ziroff, Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Entstehung und Bedeutung, Berlin 1982.
  • Stefano Grandesso, Bertel Thorwaldsen (1770–1844), with catalogue by Laila Skjøthaug, Cinisello Balsamo 2015.
  • Jürgen Krüger, Evangelisch-Lutherische Christuskirche Rom, Werl 1988.
  • Jürgen Krüger, Rom und Jerusalem. Kirchenbauvorstellungen der Hohenzollern im 19. Jahrhundert, Berlin 1995.
  • Jürgen Krüger, »Wilhelminische Baupolitik im Ausland, die deutsche evangelische Kirche in Rom«, Römische historische Mitteilungen, 39 (1997), S. 375–394.
  • Jürgen Krüger, Evangelisch-Lutherische Christuskirche Rom, Regensburg 1999.
  • Jürgen Krüger, »Luther-Erinnerung in Rom«, in: Reformation und Bildnis. Bildpropaganda im Zeitalter der Glaubensstreitigkeiten, hg. v. Günter Frank u. Maria Lucia Weigel, Regensburg 2018, S. 179–195.
  • Jürgen Krüger, »Gegen den Strich gebürstet. Episoden aus der Gemeindegeschichte«, in: Ökumene in Rom. Erfahrungen, Begegnungen und Perspektiven der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Rom, hg. v. Jürgen Krüger u. Jens-Martin Kruse, Karlsruhe 2010, S. 20–33.
  • Jürgen Krüger, »Eine Lutherkirche in Rom? Deutsch-evangelisch in Rom zwischen 1817 und 2017«, in: Päpstlichkeit und Patriotismus: Der Campo Santo Teutonico – Ort der Deutschen in Rom 1870-1918, hg. v. Stefan Heid u. Karl-Joseph Hummel, Freiburg im Breisgau 2018, S. 140–160.
  • Golo Maurer, Preußen am Tarpejischen Felsen. Chronik eines absehbaren Sturzes. Die Geschichte des Deutschen Kapitols 1817–1918, Regensburg 2005.
  • Andreas Puchta, Die deutsche evangelische Kirche in Rom. Planung, Baugeschichte, Ausstattung, Bamberg 1997.
  • Ernst Schubert, Geschichte der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom. 1819 bis 1928, Leipzig 1930.
  • Peer Zietz, Franz Heinrich Schwechten. Ein Architekt zwischen Historismus und Moderne, Stuttgart et al. 1999.

Impressum

Projekt Tatjana Bartsch, Michael Jonas, Madelaine Merino
Fotografien Gabriele Fichera, Enrico Fontolan
Video Madelaine Merino
Texte Tatjana Bartsch [TB], Michael Jonas, Oliver Lenz [OL], Madelaine Merino [MM], Johannes Röll [JR]
Bildunterschriften Regina Deckers
Übersetzungen Francesca Denora (IT), Regina Deckers (EN)
Realisierung Tatjana Bartsch
Mitarbeit Madelaine Merino

Besonderer Dank gilt Oliver Lenz, Lorenzo Civiero, Enrico Fontolan, Marion Schulz und Gertrud Widmer für vielfältige Hilfeleistung bei der Bereitstellung, Dokumentation, Untersuchung und Rekonstruktion der bislang unpublizierten Entwürfe für die „Reformations-Gedächtnishalle“.

Link zur Internetpräsenz der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Rom

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1. November 2022

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