4.14b Hamilton 1776

William Hamilton, Campi Phlegræi. Observations On The Volcanos Of The Two Sicilies As They have been communicated to the Royal Society of London, 2 Bde, Neapel 1776

Be 3430-3760 raro IX

Die „Campi Phlegraei“ des schottischen Kunstsammlers und Vulkanforschers Sir William Hamilton zählen zu den bekanntesten Aufzeichnungen aus dem 18 Jahrhundert über den Vesuv und dessen Umgebung. Als britischer Diplomat am Hof des Königreichs Neapel führte er Studien über den Vesuv und die Phlegräischen Felder durch und erstattete der Royal Society in London über seine Beobachtungen Bericht. Für seine „Campi Phlegraei“ ließ er vom Künstler Pietro Fabris Gouachen mit Bildern der Vulkanlandschaften und Gesteine anfertigen, die in den Kontext der abgedruckten Briefwechsel in englischer und französischer Sprache eingebettet wurden. Hamiltons Werk verdeutlicht einerseits die Wahrnehmung des Vulkans als sublimes Naturschauspiel und andererseits die Hinwendung zur Geologie als Wissenschaft mit detailreichen Abbildungen verschiedenen Gesteins. Tatsächlich hatten die Bilder im zeitgenössischen Wirkungsfeld einen großen naturwissenschaftlichen Einfluss. Aus dem Exemplar der Bibliotheca Hertziana sind im Rahmen eines systematischen Diebstahls Mitte der 1990er Jahre mehrere Tafeln entwendet worden, was den Wert der Illustrationen als Sammelstücke umso mehr verdeutlicht. [HS]

Sieben Ansichten des Vesuvs mit dem graduellen Anwachsen einen kleinen Berges im Inneren des Kraters vom 8. Juli bis 29. Oktober 1767; Tafel II.

Bei den Illustrationen handelt es sich zum größten Teil um Veduten und zu einem kleinen Teil um detaillierte geologische Studien, nur die beiden ersten Tafeln weichen davon ab. Die erste zeigt eine Karte des Golfes von Neapel, die zweite, die hier zu sehen ist, vereint eine Folge von sieben Ansichten des Vesuvs, mit denen ohne Glut und Flammen auf eher unspektakuläre Weise das Prozesshafte des Vulkanausbruchs dargestellt wird. Diese Sequenz, die das graduelle Anwachsen eines Berges im Inneren des Kraters zeigt, dient, wie schon die Tafel III in Hamiltons Observations On Mount Vesuvius, Mount Etna, And Other Volcanos von 1772, dazu, seine zentrale These zu verbildlichen, „dass Berge aus Vulkanen und nicht Vulkane aus Bergen entstehen“. [PH]

Der Krater des Vesuvs mit ausströmender Lava 1767; Tafel X.

Die Tafel X zeigt der Legende zufolge das Innere des Vesuvkraters nach einer Zeichnung, die den Zustand 1756 dokumentierte. Sie zeigt die Erhebungen, die sich durch die ausströmende Lava formen und durch die sich die Gestalt des Berges verändert. Die glühenden Lavaflüsse werden im Bild von Rauchschwaden begleitet, es handelt sich aber nicht um eine nächtliche Ansicht, die ein solches Ereignis noch dramatischer erscheinen lässt und die häufig in den Darstellungen gewählt wird. In der Landschaftsmalerei werden Naturkatastrophen um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem eigenständigen Bildthema. Die Natur, im Bild zuvor eher Bühne, wird zu einer Akteurin in ihrem eigenen Schauspiel. Ein Schlüsselbild ist hier das Gemälde von Joseph Wright of Derby „Vesuvius in Eruption with a view over the Islands in the Bay of Naples” von 1774. Die Illustrationen hingegen, die Hamilton in Auftrag gab, sollen mit größtmöglicher Naturtreue Erkenntnis liefern. Es geht weniger um Licht- und Schattenspiel oder die atmosphärische Stimmung, als um einen Report. Die Illustrationen seines Werkes gewinnen so einen Eigenwert und tragen zur Ausbildung einer „visuelle Sprache“ im Diskurs der Naturwahrnehmung bei. [PH]

Der Krater des Monte Nuovo, Pozzuoli; Tafel XXVII.

Über den Künstler Pietro Fabris, dem wir die Illustrationen von Hamiltons Werk verdanken, wissen wir wenig: Eine Hypothese ist, dass er um 1735 als Sohn des venezianischen Malers Jacopo Fabris und der Engländerin Susanna Jeffreys in England geboren wurde. Sein Stil und seine Bildthemen, wie neapolitanische Genreszenen und die Eruption des Vesuvs 1754 und 1760, deuten aber darauf hin, dass er früh nach Neapel gekommen sein muss. Entscheidend für seine Biographie war die Begegnung mit Lord Hamilton im Jahr 1764, der sein wichtigster Sammler und Auftraggeber wurde und ihn darüber hinaus in Kontakt mit weiteren potentiellen Käufern brachte. In etlichen Veduten der Campi Phlegræi erscheint unter den Staffage-Figuren, reitend, die Landschaft betrachtend oder im Gespräch eine Figur im roten Rock, die man als Hamilton selbst deuten kann. In etlichen Fällen wird er wie hier von einem Mann in blau begleitet, der in einem Fall (der Tafel XXII, die im Exemplar der Bibliotheca Hertziana fehlt) zeichnend dargestellt ist, vielleicht also der Künstler sein könnte. [PH]

Die Fossa Grande am Rande des Vesuvs; Tafel XXXIX.

In der Darstellung der Fossa Grande sitzt prominent fast in der Bildmitte ein rotgewandeter Mann auf einem Stein. Er zeichnet die geologischen Formationen, die sich an der seitlichen Wand des „großen Grabens“ gut beobachten lassen. Ist es der Künstler oder porträtiert hier der Künstler den studierenden Hamilton, der hier die im Text analysierten verschiedenen Zeitschichten studiert? Der Künstler gibt die bläulichen Lavaschichten und die unterschiedlich dicken Streifen des Lockerungsmaterials wieder, an denen sich die Chronologie der Auswürfe nachvollziehen lässt. Geologische Studien verbinden sich hier mit der Ästhetik der Landschaftsmalerei: Während das Gestein durch die Schichten gleichsam in fließender Bewegung zu sein scheint, füllt die erstarrte Lava des jüngsten Ausbruchs wie ein schwarzer Fluss das Tal. Am unteren rechten Bildrand sind Weinstöcke zu erkennen, die auf den menschlichen Versuch verweisen, von der Fruchtbarkeit der Vulkanasche zu profitieren. [PH]

Die Entdeckung des Isistempels in Pompeij; Tafel XXXXI.

Der durch den Brief Plinius des Jüngeren detailliert dokumentierte Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 hatte die Städte Pompeij, Herculaneum, Stabie und Oplontis zerstört, die für 1600 Jahre im Wesentlichen unangetastet und vergessen blieben. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts begannen systematische Ausgrabungen, 1748 gab das neapolitanische Königshaus Grabungen in Pompeij in Auftrag, die vor allem das Ziel hatten, besondere Schaustücke und Wertgegenstände zu bergen. Am 20. August 1763 fand man einen Stein mit der Inschrift „[…] rei publicae Pompeianorum“, damit war die Stadt als Pompeji identifiziert. Seit 1763 konnte man das Grabungsgebiet besuchen, wo der Isistempel zu den ersten Bauten gehörte, die sichtbar wurden. Die Illustration bei Hamilton ist also eine der ersten Darstellungen, welche eine Vorstellung von der Situation in diesem Moment vermittelt, in der Besucher und Arbeiter, die die Asche abtrugen, aufeinandertrafen. [PH]

Vulkangestein aus dem Krater des Vesuvs; Tafel IVL = XXXXVI.

Bei dieser Darstellung handelt es sich um eine der 25 Tafeln, die der Vielfalt und Komplexität des eruptiven Materials gewidmet sind. Wie die Bildlegende erläutert, sind hier verschiedene vulkanische Proben aus dem Krater des Vesuvs dargestellt. Es handelt sich um erstarrte Lava, deren unterschiedliche Färbung sich den Schwefel- und Salzinkrustationen verdankt. Die genaue empirische Beobachtung verbindet sich mit einer ästhetischen Präsentation, die an die Ausstellung solcher Stücke in einem Mineralienkabinett erinnert. In der Tat hatte die Publikation vor allem ein wohlhabend-kunstsinniges Publikum zum Ziele, das sich kaum die Mühe machte, die kleinen Zahlen für die Identifikation des Dargestellten mit Hilfe der Bildlegende zu suchen, als vielmehr die in leuchtender Gouachetechnik kolorierten Bilder zu genießen. [PH]

Vitrifikationen und andere vulkanische Materie; Tafel LII.

Die Tafel bietet eine Zusammenstellung von Funden aus verschiedenen Orten der Phlegräischen Felder, wobei es sich zum Teil um Vitrifikationen handelt. Die Bildung vulkanischer Gläser ist in hohem Maße von der Zähflüssigkeit der Lava abhängig. Aufgrund der raschen Abkühlung kommt es nicht zur Ausbildung regelmäßiger Kristallstrukturen, das Glas hat somit ein chaotisches Gefüge. Die Farbe – meist dunkelgrün bis schwarz – variiert abhängig von der Gegenwart verschiedener Verunreinigungen und deren Oxidationszuständen. Die Fundstücke sind so hintereinander angeordnet, dass weniger Wert auf ihre einzelne Darstellung bzw. Erkennbarkeit gelegt ist, als ein ästhetisches Ganzes zu arrangieren. In der Tat hat diese ansprechende Art der Darstellung wohl dazu beigetragen, dass – wie auch aus dem Exemplar der Bibliotheca Hertziana – häufig Tafeln herausgetrennt wurden, die als Wanddekoration oder Sammlerstück endeten. [PH]

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