Elena Subach – Hidden

kuratiert von Oleksandra Osadcha

Inhalt

19. April bis 3. Juli 2023
Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte
Palazzo Zuccari, Via Gregoriana, 28, 00187 Rom RM

Eine weitere Aufnahme wurde während der Evakuierung von Pinzels Stücken gemacht. Der Restaurator hält die Figur Abrahams aus der Szene der Bindung Isaaks in der Allerheiligenkirche in Hodowica. Die Figur wurde in den späten 1750er Jahren aus Lindenholz geschnitzt. Lviv lag an der Kreuzung zwischen nördlichen und südlichen Einflüssen. Da es an der Peripherie der katholischen Welt lag, wurden zahlreiche Architekten italienischer Herkunft wie Paolo Dominici Romanus eingeladen, dort zu arbeiten. Es war auch der Ort, an dem einige Humanisten wie Filippo Buonaccorsi Zuflucht vor der Verfolgung durch die Kirche in den damaligen italienischen Territorien fanden. Nördliche Einflüsse wurden durch Zuwanderer aus deutschen Gebieten in die Stadt gebracht, vor allem durch Kaufleute und Handwerker aus dem Rheinland und Sachsen. Auch in Pinzels Werk finden sich Anklänge an südliche und nördliche Kulturkreise: der barocke Überschwang der hölzernen religiösen Skulpturen von Nicola Fumo und die groteske Hypertrophie der Formen in den Altarbildern von Franz Ignaz Günther.
Evakuierung der hölzernen Abraham-Statue von Johann Georg Pinzel, die für den Altar der Allerheiligenkirche in Hodowica angefertigt wurde

Hidden / CXOBAHE

Die fotografische Kunstreproduktion hat eine lange Geschichte, die bis zu den Anfängen der Fotografie selbst zurückreicht. Ursprünglich wurde sie als ein kostengünstiges und wirksames Mittel zur Verbreitung von Wissen über Kunst angesehen. André Malraux, der in seinem gleichnamigen Buch das Konzept des „Museums ohne Wände“ einführte, vertrat die Ansicht, dass die Geschichte der Kunst eine Geschichte dessen ist, was durch die Fotografie festgehalten werden kann. Das Medium wurde für seine Fähigkeit gepriesen, Details zu enthüllen, die für das bloße Auge unsichtbar sind, und einen sofortigen Zugang zu jedem Kunstwerk zu ermöglichen. Die modernen Digitalisierungstechnologien sind bestrebt, die kollektive Forderung nach einem umfassenden, mit größtmöglicher Deutlichkeit dokumentierten Bestand des kulturellen Erbes zu erfüllen. Der Akt des Sehens ist seit langem mit Macht und Kontrolle über das beobachtete Subjekt verbunden. In diesem Zusammenhang steht die Verschleierung für den Erhalt der Kontrolle über das eigene Bild. Dieser Gedanke veranlasste die ukrainische Künstlerin Elena Subach, sich mit den Formen der Unsichtbarkeit zu beschäftigen.
Nach der Eskalation der russischen Militäraggression wurde die Frage der Unsichtbarkeit für die Ukrainer zu einer Frage der Ethik und Sicherheit. Ein fast schon ikonoklastisches Verbot des Fotografierens im öffentlichen Raum wurde verhängt, um das Durchsickern strategisch wichtiger Daten zu verhindern, und wurde schnell Teil des allgemeinen Konsenses. Nichtsdestotrotz sind die Medien immer noch voll von reißerischen Fotos des laufenden Krieges, was die Frage aufwirft, was zu sehen sein sollte und was nicht. Diese Diskussionen haben Elena Subach dazu inspiriert, in ihren jüngsten Projekten einen eher anspielungsreichen Ansatz zu wählen.
Die Künstlerin verbrachte die ersten Tage nach der allumfassenden Invasion als Freiwillige am Grenzübergang im Westen des Landes. Sie wurde Zeugin, wie sich Tausende von Familien trennen mussten und Frauen und Kinder in Sicherheit gebracht wurden. Anstatt diese persönlichen Tragödien direkt zu dokumentieren, entschied sich Elena Subach dafür, die laute Leere der Stühle zu fotografieren, auf denen die zukünftigen Flüchtlinge nach einer langen und anstrengenden Reise saßen und oft ihre Habseligkeiten zurückließen.
Die Serie Hidden weist das gleiche Feingefühl auf für Momente der Verletzlichkeit und des Schutzes vor unerwünschten Blicken. Sie entstand im Frühjahr 2022, als Museumsmitarbeiter*innen und Freiwillige in der ganzen Ukraine zur Rettung des kulturellen Erbes eilten. Elena, damals Mitarbeiterin der Borys Voznytsky Lviv National Art Gallery, beschloss, ihre Kolleg*innen, Restaurator*innen und Konservator*innen zu fotografieren, die Kunstwerke zur sicheren Aufbewahrung einschickten.
Alle Bilder wurden in Lviv (Lemberg) aufgenommen, einem der wichtigsten Kunstzentren der Ukraine. Die Stadt ist fast 770 Jahre alt und hat eine komplexe, vielschichtige Geschichte, denn sie war zu verschiedenen Zeiten Teil der Kiewer Rus, Polens, des österreichisch-ungarischen Reichs und der UdSSR. Lviv verfügt über ein einzigartiges architektonisches Ensemble in seinem historischen Zentrum sowie reiche museale Sammlungen, die dringend geschützt werden mussten. Aus Sicherheitsgründen verzichtete die Presse darauf, die Einzelheiten dieser Notfallmaßnahmen zu veröffentlichen, so dass ein Bedürfnis nach nicht-dokumentarischen und künstlerischen Formen der Berichterstattung über diesen Akt der Wertschätzung und Fürsorge entstand.
Die Fotografien von Elena Subach sind alles andere als konventionelle Darstellungen von Kunstwerken. Sie fotografierte Skulpturen, die mit Plastikfolien und mit mitten auf der Straße aufgestapelten Sandsäcken umhüllt waren, Porträtgemälde, die hinter Gittern aus Verpackungsband hervorlugen, und schwebende, geisterhafte Silhouetten von Altardekorationen. Die Stücke in den schimmernden Verpackungsmaterialien sind oft schwer zu identifizieren, da die Künstlerin die Figuren absichtlich ausschneidet und Details heranzoomt oder sie direkt mit dem Blitzlicht ablichtet, um einen verflachten Effekt zu erzielen. Die Exponate verschmelzen mit ihren vergoldeten oder polychromen Steinoberflächen zu einem patchworkartigen Gebilde. Gleichzeitig weckt die Verwendung von direktem Blitzlicht Assoziationen an Sensationsreportagen oder Tatortfotografie und erinnert uns an den tragischen Kontext, in dem die Bilder entstanden sind.
Die Kunstwerke, die eingepackt und für unsere Augen unerreichbar sind, nehmen menschenähnliche Züge an, wirken ängstlich, neugierig und verletzlich und vermitteln eine intensive physische Präsenz. Die Geste des Verhüllens, die ein Gefühl der Berührung vermittelt, ist in jeder Fotografie zu sehen. Die Bilder zeigen auch Szenen des direkten Kontakts zwischen Menschen und Kunstwerken, da die Museumsregel Ne touchez pas les œuvres angesichts der Bedrohung missachtet wird.
In ihren früheren Projekten hat sich Elena Subach vom Genre des Dokumentarischen distanziert, aber die sich vollziehende geschichtliche Entwicklung zwingt die ukrainischen Künstler dazu, alle ihre Mittel einzusetzen, um die Zeugenschaften zu erfassen. Elena Subach lässt Fotografie zwischen Aufzeichnung und persönlichem Statement changieren. Im Jahr 2022 veröffentlichte der Verlag Besides Press Hidden als Fotobuch. Der fotografische Teil des Buches wird von einem Essay Yurko Prohaskos begleitet. In diesem Essay meditiert der Germanist, Übersetzer und Publizist über seine Wahrnehmung, als die Statue des heiligen Johannes von Dukla, dem Schutzpatron von Lemberg, abgebaut und in einen Schutzraum transportiert wurde. Die Beschreibung der vorübergehenden Umquartierung des Heiligen und die Bilder von Elena Subach sind ein ergreifendes Zeugnis für die Widerstandsfähigkeit und Entschlossenheit der Menschen, die ihr Erbe bewahren wollen.

Siehe auch:

Yurko Prohasko, „At the Height of Jan of Dukla“, in: Elena Subach, Hidden / CXOBAHE, Besides Press, 2022.
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Die Künstlerin

ELENA SUBACH (1980) ist eine ukrainische bildende Künstlerin. Geboren in Chervonohrad, Ukraine, lebt und arbeitet sie derzeit in Lviv. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften und erhielt 2002 ihren Master-Abschluss an der Lesia Ukrainka Eastern European National University, bevor sie sich 2012 der Fotografie zuwandte. Seitdem arbeitet sie gemeinsam mit dem Fotografen Viacheslav Poliakov an Kunstprojekten. Auf autodidaktische Weise entwickelte Elena eine eigene einzigartige Sicht auf die ukrainische visuelle Kultur. Sie arbeitete 2019–2022 als Kuratorin an der Borys Voznytsky Lviv National Art Gallery und unterrichtet Kurse in Kunstgeschichte und kuratorischer Praxis an der School of Visual Communications SKVOT in Kiew. Sie ist Mitglied der Vereinigung „Ukrainian Photographic Alternative“.
Elena Subach erhielt Auszeichnungen wie den New East Photo Prize der Calvert Foundation (2016), Future Talents 2019 (Nominierung) und das Gaude Polonia Scholarship (2019). Ihre Fotografien wurden in zahlreichen Magazinen und Zeitungen veröffentlicht, darunter das British Journal of Photography, Weltkunst, Vogue Poland, The Guardian, Süddeutsche Zeitung und viele andere. Ihre Arbeiten wurden in internationalen Ausstellungen gezeigt, zuletzt im Nordic House in Reykjavik, im Photo Elysee Museum of Photography in Lausanne, im Kunstforum Wien, im Eretz Israel Museum in Tel Aviv, im Willy-Brandt-Haus in Berlin, in der Weltbank in Washington DC und im Tycho Brahe Museum in Ven, Schweden.
Sowohl Elena als auch ihr Partner Viacheslav wurden in eher provinziellen Städten geboren. Deshalb bildete das Reisen durch die ukrainische Peripherie zur Erkundung lokaler Bildsprachen von Beginn an einen wesentlichen Teil ihrer kreativen Methode. Es ist eine außergewöhnliche Mischung aus Aberglauben, kitschiger Ästhetik und Bricolage-Strategien für die Arbeit mit dem urbanen Raum. In Serien wie Grandmothers on the Edge of Heaven („Großmütter am Rande des Himmels“) betrachtet die Künstlerin Ausdrucksformen der Religiosität in der älteren Generation von Dorfbewohner*innen in der Westukraine, während die Serie Meteoryte Berdychiv („Meteorit Berdychiv“) die Atmosphäre der Trägheit und des Wartens auf ein Wunder thematisiert, die das Leben in den Kleinstädten bestimmt.
In den meisten Fällen inszeniert, manipuliert und collagiert Elena ihre Bilder. Dabei handelt es sich jedoch nicht um formalistischen Eskapismus, sondern vielmehr um eine Art und Weise, metaphorische und persönliche Sichtweisen auf die sozialen und kulturellen Verhältnisse auf dem Land zu konstruieren. Es reizt sie besonders, die unsichtbaren Beziehungen zwischen den Menschen und den sie umgebenden Objekten zu betrachten. So ist sie zum Beispiel fasziniert von der Poesie umgeknickter Pflanzen und von Gegenständen, die von fürsorglichen Händen zusammengebunden wurden, was sie in dem Projekt Lamkist („Zerbrechlichkeit“) zum Ausdruck bringt.
Fragilität ist einer der Schwerpunkte von Subachs Arbeit, die besonders sensibel für die Texturen der sie umgebenden Welt ist. Ihr Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass sie scheinbar unbedeutende Details heranzoomt und ihnen Monumentalität verleiht. In diesem bunten Flickenteppich aus Oberflächen und Mustern, der von Großmutters Kopftüchern bis zu schwachen, mit alten Stofffetzen zusammengebundenen Pflanzen reicht, wird der Unterschied zwischen realen Objekten und solchen, die digital verfremdet wurden, fast vollständig aufgehoben. In dieser Mischung aus Realem und Fiktivem zeigen sich die eigentlichen Zusammenhänge.

Die Ausstellung im Palazzo Zuccari

Ausstellungseröffnung:

19. April 2023, 18:30–20:00 Uhr ohne Anmeldung

Öffnungszeiten:

Montag bis Freitag, 9:30–18:30 Uhr
Anmeldung nur unter freiberg@biblhertz.it

Künstlergespräch und Führung:

20. April, 15:00 Uhr
Villino Stroganoff, via Gregoriana 22
Anmeldung unter https://events.biblhertz.it/event/69/

Ausstellungsflyer:

[PDF-Download, 400 KB]

Siehe auch:

https://www.biblhertz.it/3359039/elena-subach-hidden.html

Impressum

Projekt Elena Subach, Oleksandra Osadcha, Tatjana Bartsch, Johannes Röll, Tristan Weddigen
Fotografien Elena Subach
Texte und Bildunterschriften Oleksandra Osadcha
Übersetzungen Tatjana Bartsch, Christoph Stolz (DE), Maria Francesca Denora (IT)
Redaktion John Rattray, Gita Rajan (EN)
Realisierung Web Tatjana Bartsch
Unterstützung Marieke von Bernstorff, Enrico Fontolan, Mara Freiberg Simmen, Susanne Kubersky, Stefanie Neumann

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19. April 2023

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